Der Convent der Alten Herren

„Haben Sie das Bauhaus vermisst?“ Klemens Koschig hatte sich die Frage für den Schluss seines Vortrags aufgespart. „Da gab es keine Farbenträger.“ Und deshalb wurde der Name keines Meisters, keines Schülers von ihm erwähnt.
Koschig, einstiger OB von Dessau-Roßlau, zählt hingegen zu den Farbenträgern. Schwarz-weiß-gold sind die seinen.
Wer bislang nur Bahnhof verstanden hat, zeigt, dass er keinen Schimmer hat – und das ist wortwörtlich zu nehmen. Den Schimmer heißt im Sprachgebrauch des studentischen Verbindungswesens jenes Regelwerk, das sich jede Verbindung gibt und in dem von Aufnahme über die Farben und Trinkrituale alles festgelegt ist.
Dessau und studentische Verbindungen klingt zunächst etwas abwegig – schließlich fehlt der Stadt eine historische Hochschule. Dennoch treffen sich seit 2010 und weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Farbenträger monatlich im Golfpark. Die meisten sind längst keine Studenten mehr, sondern Anwälte, Unternehmer, Verwaltungsmenschen und ihre alten Verbindungen treu. Nun, anlässlich des 100. „Farbenabends“ haben sie im Palais Dietrich den Altherren Senioren Convent Dessau, abgekürzt AHCD, gegründet.
„Okay, so lange er männlich ist.“
Hendrik Weber, Stadtrat in der Fraktion Liberales Bürger-Forum/Die Grünen, gehört einem Jagdcorps an und betont: „Wir sind keine Burschenschafter.“ Überhaupt ist das immer wieder in Gesprächen an dem Abend zu hören: Man sei tolerant, nicht politisch und schon gar nicht rechtslastig. „Wir nehmen jeden auf, der sich zu unseren Werten bekennt“, sagt ein Gast. Und fügt hinzu: „Okay, so lange er männlich ist.“ Das klingt beinahe wie ein Entschuldigung.
Die Beteuerungen haben einen Grund: Einzelne Korporationen haben immer wieder mit einem stramm rechten bis rechtsextremen Kurs für negative Schlagzeilen gesorgt. Und mit diesen wollen die in Dessau-Roßlau lebenden oder arbeitenden Korporierten nichts zu tun haben.
Dafür dürfte auch jemand wie Koschig bürgen. Dass er nicht nur Mitglied des Neuen Forums ist, sondern ebenso des christlich orientierten Wingolfsbund, dürfte überraschen, um so mehr, als Koschig Ostdeutscher ist und in der DDR die als reaktionär geltenden Verbindungen verboten waren (daran vermochte auch nichts der Hinweis auf deren demokratische Ursprünge ändern). Einzig einigen Vereinen zur Pflege des studentischen Liedgutes überwinterten einige Corps während der DDR-Zeit.
Nach dem Gründungsakt im Palais Dietrich zieht man um in den Golfpark, wo das Festkommers stattfindet. Tische sind in T-Form aufgestellt, ganz oben sitzt, etwas einsam, der Präside, der den Abend leiten wird. Denn die „Kneipe“ ist vieles reglementiert: Die Gespräche untereinander werden unterbrochen, um gemeinsam zu singen, oder auf Kommando „ad exercitium salamandri” (deutsch: „zur Ausführung des Salamanders“) getrunken. Wobei alkoholfreies Bier oder O-Saft inzwischen okay sind.
Manche Tradition hat sich dann doch überlebt.